Grundlage der Informationen dieser Seite:
Münchener Ambulanz für "Internet-Abhängige"
Dr. med. O. Seemann,
Arzt an der Psychiatrischen Uniklinik München, August 2000

alternativer Text ;-)
"Internetsucht"

Im gar nicht mehr so neuen Millenium scheint es eine "Versüchtelung der Gesellschaft" zu geben. Eine "neue" Suchtform wird diskutiert, die mit dem Internet zusammenhängt.

Der Internet-Gebrauch hat im zivilen Leben viele Aspekte. Manche User übernehmen innovative Funktionen in beruflicher, kommunikativer und sozialer Hinsicht; manche finden sogar Partner über das neue Medium. Es gibt aber inzwischen zahlreiche Fallberichte von Menschen, die durch das Internet zu Patienten wurden. Eine neue Definition erobert in diesem Zusammenhang vielleicht die medizinischen Wörterbücher, zumindest aber die Regenbogen-Presse: "Internet-Sucht" (engl. Internet-Addiction-Disorder)

Auf dem Hintergrund der Beobachtung des Suchtverhaltens bei Computerspielen nahm man bisher an, daß vorwiegend junge, depressive, introvertierte, überdurchschnittlich intelligente Männer an dieser potentiellen Krankheit leiden könnten.

Schon bald trat ein Fall auf, wo dieses Stereotyp sich nicht erfüllen sollte: Eine 43jährige Hausfrau, die früher nie süchtig gewesen sei und ein zufriedenes Leben geführt haben soll, habe in den ersten 3 Monaten des Gebrauchs ihres PC zunehmend Chatrooms aufgesucht. Eine Art Toleranzentwicklung sei aufgetreten bei Online-Zeiten bis zu 60 Stunden pro Woche. Sie habe sich auf einen bevorzugten Chat konzentriert, wo sie eine Art Gemeinschaftsgefühl entwickelt haben soll. Sehr bald sei es zu einem Kontrollverlust über die Zeit hinter dem Computer gekommen. Manchmal habe sie 14 Stunden am Stück gechattet. Wenn sie nicht online habe sein können, sollen sich depressive Verstimmungen, Angstzustände und Nervosität eingeschlichen haben. Sie habe zunehmend Verabredungen versäumt und ihr Familienleben sowie andere früher geschätzte soziale Aktivitäten vernachlässigt. Von ihrem Ehemann und den Töchtern habe sie sich immer mehr distanziert. Sie selbst habe sich "süchtig nach dem Internet wie jemand anders nach Alkohol" gefühlt. Es sei ihr schließlich, teilweise auch mit therapeutischer Unterstützung, gelungen, sich völlig vom Internet zu lösen.

In den Vereinigten Staaten sollen nach Presseberichten über 800.000 Personen Internet-süchtig sein. Die Zahlen basieren allerdings auf kaum als repräsentativ zu nennenden Umfragen. Im Zusammenhang mit dem Internet-Gebrauch soll es zu Herzstillstand bei Schlafdefizit oder Selbstmorden wegen Internet-Stress gekommen sein. Ein Junge soll seine Mutter und schließlich sich selbst getötet haben, weil sie ihm den Internet-Zugang gekündigt habe.

Seit November 1998 gibt es an der Psychiatrischen Universitätsklinik in München die "Ambulanz für Internet-Abhängige", bei der sich bislang etwa 40 Personen vorstellten.

Internet-Abhängigkeit ist nach der klinischen Erfahrung von Dr. med. Seemann, Arzt an der Psychiatrischen Uniklinik München, bislang immer mit einer psychischen Grundstörung verbunden (Frühstörung). Es macht insofern Sinn "Internet-Abhängigkeit" als Symptom zu definieren, um Personen mit derartigen Problemen rechtzeitig eine adäquate Therapie zu vermitteln, die sich mit den Grundproblemen beschäftigt.

Dr. Seemann nennt folgende Klassifikationskriterien, von denen mindestens fünf der folgende sechs Kriterien zusammen über mindestens einen Monat bestehen sollten, um die Diagnose "Internet-Abhängigkeits-Syndrom" stellen zu können:

  1. Ein starkes Verlangen oder eine Art Zwang, das Internet zu gebrauchen
  2. Kontrollverlust über die Zeit beim Internet-Gebrauch
  3. Deutliche Entzugserscheinungen (starke Unruhe und Nervosität)
  4. Ernste Probleme durch den Internet-Gebrauch, am Arbeitsplatz, in der Schule, mit dem Partner, große finanzielle Schwierigkeiten.
  5. Fortsetzung des schädlichen Gebrauchs trotz Bewusstsein über die Folgen
  6. Deutlicher sozialer Rückzug durch den Internet-Gebrauch
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