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Presseamt des Erzbistums Köln: 25.05.00

"Big Brother" - ethisch gesehen

Zehn Thesen zu einer umstrittenen Fernsehsendung, vorgetragen auf einem Symposium in Heidelberg von Dr. Manfred Becker-Huberti, Pressesprecher des Erzbistums Köln

PEK (000525) - Unter dem Thema "Die Totale Wirklichkeit - Big Brother im deutschen Fernsehen" veranstaltete der Heidelberger Club für Wirtschaft und Kultur e.V. am 12. Mai ein Streitgespräch an der Universität Heidelberg, an dem als Fachmann für Medien und Kommunikation Dr. Manfred Becker-Huberti , Pressesprecher des Erzbistums Köln, teilnahm. Er stellte seinen Standpunkt zu Beginn des Gesprächs (auf der Basis des Positionspapiers der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten [ALM] vom 28. März 2000) in zehn Thesen vor, die nachfolgend dokumentiert sind.

"Big Brother" dokumentiert nicht den Untergang des Abendlandes, ist auch nicht die Inkarnation des Bösen schlechthin. Dennoch ist diese Sendeform ein Meilenstein auf einer Strecke sich steigernder Tabuverletzungen, deren Ende durch die Verdunstung der mitmenschlichen Werte und den Verlust menschlicher Umgangsformen gekennzeichnet ist.

  1. Nach meiner Auffassung verstößt "Big Brother" gegen die Menschenwürde - auch wenn dies vor dem 4. Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 1.2.2000 von Juristen und Landesmedienanstalten anders gesehen wurde. Totale Video-Überwachung als Gegenstand der TV-Unterhaltung ist nicht nur für sich genommen schon fragwürdig; sie wird vollends problematisch, weil sie, im Rahmen einer Unterhaltungssendung eingesetzt, den Eindruck vermittelt, totale Überwachung könne normal und üblich sein. Das von Freiheit geprägte Menschenbild unserer Verfassung und das diesem zu Grunde liegende christliche Menschenbild sind mit "Big Brother" nicht zu harmonisieren.
  2. Die Menschenwürde ist so hoch anzusetzen, dass selbst die Freiwilligkeit, mit der sich die Teilnehmer dem Einschluss beugen, die Verletzung der Menschwürde durch die Eingrenzung des Lebensraumes, die Verwendung des Stoffes als Unterhaltung und die systembedingte Prostituierung der Mitwirkenden zum Zweck der Vermeidung der Abwahl nicht rechtfertigen. - Bezüglich der Freiwilligkeit der Mitwirkenden wäre im übrigen noch zu fragen, inwiefern der Sender die Personen für seine Zwecke nur ausnutzt statt einzelne, deren Medienverliebtheit unkalkulierbar ist, vor sich selbst zu schützen.
  3. Zu der totalen Überwachung tritt bei "Big Brother" eine Steuerung von außen durch die Regie hinzu. Die internen Abläufe werden durch Regie-Eingriffe gesteuert und erlauben so eine nicht begründbare Manipulation von Menschen, die dadurch instrumentalisiert und zum Mittel zum Zweck gemacht werden.
  4. Die einzige Begründung der Eingriffe von außen scheinen die Einschaltquoten zu sein. Wenn dies so stimmt, was sich bei Quotentiefs durch die Einweisung von TV-Promis in die Gruppe belegen ließe, wäre allein das kommerzielle Interesse des Senders seine Legitimation für sein Tun - ethisch ein fragwürdiger, wahrscheinlich auch unhaltbarer Fakt.
  5. Durch eine Sendeform wie "Big Brother" geht die in unserer Gesellschaft gewachsene Distanz zwischen "privat" und "öffentlich" verloren, und zwar für die Mitwirkenden der Sendung, die Zuschauer und die gesamte Gesellschaft: Die einen verlieren durch die Sendung ihr Privatleben, die anderen verlassen durch die Beobachtung des Privaten ihre Rolle als Öffentlichkeit. Die Verdunstung der Grenze zwischen "privat" und "öffentlich" wirkt sich auch auf die gesamte Gesellschaft aus, weil die Einstellungs- und Verhaltensänderungen der Mitwirkenden und der Rezipienten nicht folgenlos bleiben. Und weiter: Selbst wenn das Phänomen der Grenzverwischung zwischen "privat" und "öffentlich" eine unabwendbare allgemeine Entwicklung sein sollte, wäre sie im Rahmen von "Big Brother" nicht Gegenstand der Berichterstattung oder Begründung der Sendung, sondern diente allein der Unterhaltung.
  6. Durch "Big Brother" geht wesentlich Intimität verloren. Die fehlende Distanz, verursacht durch die Unmöglichkeit, der Kamera auszuweichen, minimiert den Respekt vor der Intimität und intimen Details. Dadurch werden rudimentäre Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens aufgegeben, die gewachsen sind, um ein menschenwürdiges Miteinander zu garantieren.
  7. Eine Sendeform wie "Big Brother" appelliert nur vordergründig an die Neugier der Rezipienten, sie kalkuliert dagegen das Interesse der Voyeure ein. Fernsehen wird hier auf die Rolle eines Schlüssellochmediums reduziert. Der Sender allein hat es in der Hand, durch Bildselektion den Voyerismus der Zuschauer zu steuern. Freizügigere Bildauswahl als Mittel gegen Quotentiefs sind programmiert.
  8. Das Abwählen von Mitwirkenden geschieht auf eine Art und Weise, die im wirklichen Leben mit dem Begriff "Mobbing" umschrieben wird. Rezipienten werden durch den Sender zu einem Verhalten aufgefordert, das im normalen Leben rechtlich geahndet wird. Wie beim Voyeurismus bedient der Sender hier ethische ausgesprochen fragwürdige "Werte".
  9. Privatwirtschaftlich betriebene Rundfunksender verkaufen Werbung, von deren Einnahmen sie leben. Sie müssen deshalb massenattraktive Unterhaltungsprogramme senden, damit die Werbung vom Rezipienten als Beipack konsumiert wird. Wenn der Quotendruck, also die Notwendigkeit, bestimmte Mindestreichweiten zu gewinnen, so stark wird, dass sie nur noch durch Tabuverletzungen oder Skandale zu erreichen sind, müssen die Regelungsmechanismen des Systems auf den Prüfstand. Das gesellschaftliche Interesse an einem möglichst breiten Wertekonsens darf nicht durch das ökonomische Interesse einzelner infrage gestellt werden.
  10. Die Motivation der Mitwirkenden wird wesentlich durch drei Zielvorgaben gesteuert: Spaß, Publicity und Reichtum. Man muss nicht gläubiger Christ zu sein, um zu wissen, dass manches in der Bibel Geschilderte auch symbolisch verstanden werden kann. "Spaß, Publicity und Reichtum", so kann man die Angebote des Teufels an Jesus in der Wüste in moderner Sprache nennen. Programmatisch für Christen hat Jesus abgelehnt. Aber wenn man nach den Interessen einer vom Hedonismus gesteuerten Gesellschaft fragt, hier hätte man ihre Motive, deren unsoziale Realisation immer nur auf Kosten Dritter möglich ist.

"Big Brother" ist ein Stolperstein auf dem Weg von der Sinn- in die Unsinngesellschaft: die ultimative, wertfreie Spaßgesellschaft der extrovertierten, exhibitionistischen Egomanen.

(PEK / Dr. Manfred Becker-Huberti)