Stand: 29.10.2000, 12:35 Uhr

STELLUNGNAHME
der fünf Selbsthilfe- und Abstinenzverbände
zum "Ambulanten Gruppenprogramm zum kontrollierten Trinken" (AkT)

Die gemeinsame Stellungnahme der fünf Selbsthilfe- und Abstinenzverbände ist inzwischen miteinander abgestimmt und zur Veröffentlichung freigegeben.

Die hier veröffentlichten Stellungsnahme ist übernommen von www.alkohol-hilfe.de und ist auch auch auf den Webseiten des Kreuzbundes zu finden!

Das von Prof. Dr. Joachim Körkel (Nürnberg) entwickelte "Ambulante Gruppenprogramm zum kontrollierten Trinken" (AkT) hat zum Ziel, Veränderungsprozesse bei Menschen, die ihren Alkoholkonsum als problematisch einschätzen, mit Methoden der Verhaltenstherapie zu bewirken und zu unterstützen. Es möchte konkrete Hilfen zur Reduzierung des Alkoholkonsums bieten.

Das Gruppenangebot richtet sich an Personen, die an einem unschädlichen Alkoholkonsum interessiert sind, und es schließt daher insbesondere die Personengruppe ein, die riskanten oder bereits schädigenden Alkoholkonsum betreibt und vom bestehenden Hilfesystem bisher nur zu einem kleinen Teil erreicht wird. Zu diesem Personenkreis können auch Alkoholkranke gehören, die bisher ihre Krankheit noch nicht erkannt bzw. vor ihr noch nicht kapituliert haben.

Das AkT resümiert: "Wenn Ihnen das Ziel der Abstinenz ... momentan unrealistisch hoch gesteckt oder aus einem anderen Grund nicht erwünscht erscheint, kann kontrolliertes Trinken die zweitbeste Alternative zu unkontrolliertem Zuviel-Trinken sein." (Ausführliche Informationen sind der WebSite www.kontrolliertes-trinken.de zu entnehmen.)

Das Abstinenzziel als "Ziel erster Wahl" wird von Körkel (nach wie vor) für diejenigen Personen in Betracht gezogen,

Körkels "Ambulantes Gruppenprogramm zum kontrollierten Trinken" möchte für Menschen mit riskantem Alkoholmissbrauch präventive Maßnahmen anbieten und ein Instrumentarium zur Selbsteinschätzung und "Diagnostik" bieten. Es möchte weiterhin Hilfe anbieten, bevor Alkoholabhängigkeit entsteht. Schließlich beabsichtigt es, den Zugang zu therapeutischen Hilfen zu erleichtern, wenn jemand sich klar darüber wird, alkoholkrank zu sein.

Kritische Bewertung:

Die Vorsitzenden und Geschäftsführer der fünf in der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (DHS) vertretenen Selbsthilfe- und Abstinenzverbände (Blaues Kreuz in Deutschland, Blaues Kreuz in der Evangelischen Kirche, Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe, Guttempler in Deutschland und Kreuzbund) kritisieren am vorgelegten "AkT" die nicht klar genug definierte Zielgruppe des Programms, die sowohl Risikotrinker und Missbraucher wie auch zugleich Alkoholkranke umschreibt. Die Unschärfe dieser Zielgruppenbeschreibung kann fatale Folgen zeitigen, da sich für Alkoholkranke die (lebenslange und unbedingte) Abstinenzverpflichtung - wie von Körkel sogar selbst "in Betracht gezogen" (s.o.) - per se aus der Alkoholkrankheit ableitet und ergibt. Im Gegenteil würde sich nach Überzeugung der unterzeichneten Verbände ein Angebot zum kontrollierten Trinken - wie jahrzehntelange Erfahrungen dokumentieren - für Alkoholkranke rückfallgefährdend, krankheitsverlängernd und somit gesundheitsschädigend auf diese Zielgruppe auswirken.

Desweiteren wird von den Verbänden der Sucht-Selbsthilfe in Zweifel gezogen, ob sich die primär angesprochene Gruppe der Risikotrinker und Missbraucher tatsächlich klar genug von der der Alkoholkranken abgrenzen lässt, da sich sehr häufig Risikotrinken bzw. missbräuchliches Konsumieren als Vorstufe einer manifesten Alkoholabhängigkeit darstellt.

Das Postulat der Selbsthilfe- und Abstinenzverbände zur Notwendigkeit einer lebenslangen Abstinenzverpflichtung für alkoholkranke Menschen galt und gilt über alle Verbandsgrenzen hinweg. Z. T. über 100 Jahre lange Erfahrungen haben die Berechtigung, Gültigkeit und Richtigkeit dieses Postulats immer wieder neu untermauert. Die Selbsthilfe- und Abstinenzverbände sehen aus ihrer langjährigen Erfahrung heraus die Abstinenz vom Alkohol als Idealziel und beste Lösung an. Gleichwohl sind sie für jede differenzierte fachliche und inhaltliche Diskussion offen, so lange sie sich an repräsentativen Ergebnissen und an klarer Problemdefinition orientiert. Die Verbände der Sucht-Selbsthilfe lehnen jede Form von Pauschalisierung in Bezug auf den Umgang mit "Kontrolliertem Trinken" ab, so lange nicht darauf hingewiesen wird, daß kontrolliertes Trinken nur dann "funktionieren" kann, wenn:

  1. therapeutische Unterstützung gewährleistet ist,
  2. der jeweilige Abhängigkeitsgrad klar definiert ist,
  3. Zutrauen in die eigene Kontrollfähigkeit und Disziplinierung besteht und
  4. das unterstützende Umfeld mit einbezogen wird.
Jede Unterschlagung eines dieser Faktoren führt in eine unfachliche Diskussion.

Diese auf Erfahrungen gegründete und damit belegte Notwendigkeit einer lebenslangen Abstinenz für Alkoholkranke gilt es, dauerhaft und unmissverständlich zu vertreten und zu untermauern. Jeglicher Infragestellung einer solchen Notwendigkeit für alkoholkranke Menschen treten die Unterzeichner entschlossen und geschlossen entgegen. Alkoholkranken Menschen bleibt daher - trotz gegenteiliger Behauptungen mancher deutscher und europäischer Wissenschaftler - "keine andere Wahl ", als sich nach dem Eingeständnis, alkoholkrank zu sein, für die Abstinenz vom Suchtmittel zu entscheiden. Es wäre jedenfalls fahrlässig und gefährlich, wenn einem Alkoholkranken aufgrund des AkT suggeriert würde, (wieder) kontrolliert trinken zu können.

Hamm, 26. Oktober 2000

Heinz-Josef Janßen
Bundesgeschäftsführer des Kreuzbund e.V.
(im Auftrag der Selbsthilfe- und Abstinenzverbände)